Buchtipp Instandhaltung Inflationäre Instandhaltung gefährdet deutsche Industrie

Autor / Redakteur: Nikolaus D. Mexis / Mag. Victoria Sonnenberg

Kostendruck, Zeitdruck und Fremdeinflüsse machen das Leben eines Instandhalters zu einer spannenden Kriminalgeschichte. Jahr für Jahr klafft das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis in der Instandhaltung von Anlagen mehr und mehr auseinander. Ein emeritierter Professor hat sich dem Problem angenommen und in seinem neuen Buch aufbereitet.

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Instandhalten bedeutet auch den Wert zu erhalten, das ist keine technische sondern eine sozialökonomische Notwendigkeit.
Instandhalten bedeutet auch den Wert zu erhalten, das ist keine technische sondern eine sozialökonomische Notwendigkeit.
(Bild: Mexis)

„Modernes Sklaventum – Instandhalter über Instandhaltung“, so der Titel des Buches, das „Instandhalter“ zu Wort kommen lässt um so das Meinungsklima über die deutsche Instandhaltung und das Praxisleben aus ihrer Sicht darzustellen. In den letzten zwei Jahren sind über 3500 Befragungen schriftlich und mündlich durchgeführt worden, die die Grundlage für sechs aufgestellte Inflationsthesen gaben.

  • These 1: Inflation der Nicht-Entscheidung: Die meisten Firmen lassen sich in drei Kategorien unterteilen: (A circa 3 %) sie haben „irgendein“ System und arbeiten und „wursteln“ je nach Fall. (B circa 70 %) Sie „prüfen“ emsig irgendwelche Systeme. Bei der Vielzahl der Angebote können sie theoretisch 100 Jahre lang prüfen. (C circa 27 %) Sie haben gar nichts, tun gar nichts, „wissen“ aber oft Bescheid. In allen drei Fällen fallen keine Entscheidungen, die Instandhaltungskosten laufen aber weiter. Die Verantwortung dafür liegt eindeutig beim oberen Führungsmanagement und nicht bei den Instandhaltern.
  • These 2: Inflation der Begriffe: Zwar gibt es in Deutschland eine DIN 31051 (Grundlagen der Instandhaltung), die einerseits verteidigt wird; andererseits ist sie bei 95 % der Firmen kaum bekannt. Somit werden ständig neue Begriffe erfunden. Jeder Unternehmensberater, Japanreisende, Softwareanbieter oder Organisator erfindet oft Begriffe, welche die Unsicherheit der Praxisleute erhöhen. Einen negativen Beitrag liefert der Harmonisierungswunsch der EU. Wartung bedeutet nicht Services auf englisch und repair in englisch ist keine deutsche Instandsetzung.
  • These 3: Inflation der Organisation: Kaum ein Bereich ist so rabiat rationalisiert worden wie der der Technik. Unternehmen geben den Anschein, dass Technik ein lästiger Kostenfaktor wäre. Diese Technik wird aber organisatorisch permanent rationalisiert, reduziert, umgeschichtet, verlagert, verändert, ja sogar abgeschafft und muss am Ende doch die Folgen tragen, nach dem Motto: Nicht der Organisator macht Fehler – das Objekt ist widerspenstig.
  • These 4: Inflation der Systeme: Es gibt etwa 150 Instandhaltungssysteme. Die Mehrzahl sind als Systeme zu verstehen, die die Instandhaltung verwalten. Da es aber eine Inflation der Begriffe und der Preise gibt, ist es für den Praktiker schwer, sich richtig zu entscheiden. Da das Wissen über Instandhaltung meist sehr dürftig oder oberflächlich ist, kann man auch nicht zwischen fähigen und unfähigen Systemen unterscheiden.
  • These 5: Inflation der Strategien: Jeder Unternehmensberater versucht, seine Ideen und Produkte zu verkaufen. Ein guter Name gehört dazu. So entstehen immer neue Begriffe für alte Hüter, am besten gleich in englisch.
  • These 6: Inflation der EDV: Der Techniker ergötzt sich geradezu daran, von einem EDV-System erst alles zu fordern – um dann nachzuweisen, dass ein derart umfangreiches System eigentlich unnütz ist. Ein einfaches System wird allerdings nicht anerkannt, denn es befriedigt nicht die komplizierte Denkweise des Technikers. Nirgendwo werden so viele wichtige Daten vernichtet oder ungenutzt gesammelt wie in der Technik. Im Bereich des Einsatzes von EDV-Systemen muss die wichtigste Wende erfolgen. Bis heute speichern wir Daten in irgendwelchen Systemen. Da die Speichermöglichkeit immer größer wird, speichern wir auch immer mehr Daten. Wir haben allerdings an der Analyse-Situation nichts verändert. Alle Daten müssen vom Menschen analysiert, begutachtet und in Empfehlungen umgesetzt werden.
  • These 7: Inflation der Instandhaltungskosten: Bereits in der Antiken Welt achtete man aufs Geld. Von den Assyrern und Babyloniern über die Ägypter, Perser und Griechen bis zu den Römern und Byzantinern, ja, bei allen alten Völkern und in allen Epochen war der Sinn für Wert, Leistung und Entgelt, hoch ausgeprägt. Man achtete auf die Einhaltung eines vorgegebenen „Budgets“ beziehungsweise der „Kostenstelle“, sonst drohten drakonische Strafen. Ramses der Große, der für seine Zeit über unermessliches Reichtum verfügte, gab persönlich Anweisungen, welche Mittel jährlich für die Instandhaltung des ganzen Reiches auszugeben waren. Themistokles baute die athenische Seestreitmacht so auf, dass sie gut instandhaltbar und -setzbar war und definierte auch die notwendigen Ausgaben. Alexander der Große wusste, dass er wenig Geld für die Expedition ins persische Reich hatte und achtete deshalb auf jede einzelne Kriegskonstruktion. Alle verstanden die Notwendigkeit, sparsam zu handeln, sich an die „Budget- Vorgaben zu halten, die vorgegebenen Ziele einzuhalten und zu kontrollieren (Controlling). Ihnen allen standen Finanzbeamte und Techniker zur Seite. Was machte aber den Unterschied zu heute aus? Der größte Unterschied lag in der Prioritätensetzung. Die antiken Völker und ihre Führer verstanden Instandhaltung als eine absolute Notwendigkeit für den Wohlstand eines Volkes.

Heute versteht man die Reduzierung der Instandhaltungskosten als das Ziel, nicht das Instandhalten selbst. Und das Ziel wird von Betriebswirten, Kaufleuten, Controllern und Finanzkräften vorgegeben, die von Instandhaltung wenig Ahnung haben. Demnach ist nicht die Instandhaltung das Ziel, sondern die Kostenreduzierung – Null Kosten bei höchster Effizienz.

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