Kommentar:Verfahren

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Bund und Toll Collect ringen in einer weiteren Runde um Milliarden Euro: Vorhang auf für eine der bizarrsten Rechts-Inszenierungen der Republik.

Von Michael Bauchmüller

Das Stück läuft wieder, eine Woche lang. Die Protagonisten haben ihre Plätze bezogen, die Rollen sind klar verteilt. Manche Szene wird aufs Haar jener vergangener Inszenierungen gleichen, aber das macht weiter nichts, denn Publikum gibt es bei diesem Stück sowieso nicht. Ist schließlich ein privates Schiedsverfahren.

Vorhang auf für eine der bizarrsten Rechts-Inszenierungen der Republik: In den Hauptrollen finden sich Anwälte der einen und der anderen Seite, unterstützt von teuren Kanzleien, dazu ein dreiköpfiger Richterstab. Diese Woche treffen sie sich zum fünften Mal zu einer mündlichen Verhandlung, es geht um milliardenschwere Forderungen. Der Bund möchte fünf Milliarden Euro zuzüglich Zinsen von den Firmen, die ihm einst ein zügiges System für die Lkw-Maut versprachen, von Daimler und der Deutschen Telekom. Die Zinsen haben sich mittlerweile geläppert, die Gesamtforderung beträgt sieben Milliarden Euro. Kein Wunder, denn das Verfahren läuft seit mehr als zehn Jahren, und ein Ende ist derzeit nicht absehbar. Nur einen Beweis hat das Verfahren um die Maut-Firma Toll Collect jetzt schon ganz sicher erbracht: den für die Untauglichkeit eines Schiedsgerichts in öffentlich-privaten Partnerschaften.

Für den Bund wird es eine teure Blamage, weil Mauteinnahmen aus 16 Monaten fehlen

Fragt man die Verfahrensbeteiligten, dann reden sie viel über die Komplexität des Verfahrens, über die schwer zu durchdringende Materie von einst. Es geht um die Frage, ob die Maut-Konsorten der Bundesregierung zu viel versprachen, als sie eine Einführung der Lkw-Maut bis zum August 2003 in Aussicht stellten. Doch die Unternehmen konnten die Termine nicht halten, erst 16 Monate verspätet geht das System an den Start. Die Konzerne hatten die Komplexität des satellitengestützten Systems unterschätzt. Für den Bund wird es eine teure Blamage, Mauteinnahmen aus 16 Monaten fehlen. Nur: Hat er darauf Anspruch? Bei einem Projekt, das technisch völliges Neuland war? Hatten die Unternehmen den Auftrag mit falschen Zusagen eingeheimst?

Streitfälle wie diese gibt es täglich, in jeder beliebigen Größenordnung. Handwerker versprechen saubere Arbeit und liefern Murks, Dienstleister machen Termine, die sie nicht halten können. Firmen verkaufen Produkte, die nicht annähernd halten, was sie versprechen. Wenn sich die Dinge nicht anders klären lassen, landen solche Fälle vor einem ordentlichen Gericht. Nicht so bei Toll Collect.

Weil beide Seiten das so vereinbart hatten, sollten Streitigkeiten vor einem privaten Schiedsgericht ausgefochten werden. Anwälte von beiden Seiten, ein neutraler Schiedsrichter; am Ende ein Schiedsspruch und fertig. Das sind die Bestandteile jener Aufführung, die nun seit vielen Jahren läuft, nur leider ohne Publikum. In letzter Konsequenz heißt das: Deutsche Steuerzahler fordern von einem Konsortium sieben Milliarden Euro zurück. Sie erfahren aber nichts zum Stand des Verfahrens, über die Argumente beider Seiten, über die Erfolgsaussichten.

Sie wissen auch nichts von der Taktik, mit der dieses Verfahren Jahr um Jahr in die Länge gezogen wird. Motivation gibt es dafür reichlich: Für die Anwälte beider Seiten gibt es kaum Anreize, den Fortgang zu beschleunigen, sie verdienen schließlich gut daran. Die betroffenen Unternehmen ziehen sogar Steuervorteile daraus, schließlich können sie die drohenden Verluste geltend machen. 144 Millionen Euro Steuergeld hat allein der Bund investiert, um Recht zu bekommen. Doch je länger das Verfahren währt, desto eher bietet sich ein Vergleich an - einfach nur, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Denn dieses Verfahren ist verfahren.

So steckt der einzige Wert der Aufführung in der Erkenntnis der Grenzen solcher Schiedsgerichte. Sie mögen zwischen Privatpersonen und Firmen ein geeignetes Mittel sein, um Streitigkeiten jenseits der Gerichte zu klären. Sie taugen aber nicht für Auseinandersetzungen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist. Solche Verfahren verlagern die Ansprüche der Steuerzahler ins Hinterzimmer, sie verhandeln die Interessen der Bürger unter deren Ausschluss. Das geht nicht.

Insofern lehrt die Auseinandersetzung einiges über die sogenannten Investor-Staat-Schiedsverfahren, wie sie auch im Handelsvertrag der EU mit den USA, TTIP, immer noch geplant sind. Sie sollen helfen, Investoren vor Diskriminierung im Land X zu schützen. Doch das Toll-Collect-Verfahren liefert beste Anschauung, wie es nicht laufen darf. Schiedsverfahren müssen jedermann zugänglich sein, mit öffentlich bestellten Richtern, klaren Regeln und Berufungsinstanz. Andernfalls verlieren sie und ihre Schiedssprüche alle Legitimität. Die einzigen, die etwas davon haben, sind die Anwälte.

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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